Gott – Tugend – Unsterblichkeit ohne Dogma? Die Freimaurerei ist keine Religion und der Freimaurer ist auch kein areligiöser Mensch. Die Freimaurerei zwingt niemanden. Der Maurer bleibt ein freier Mann, nur seinem eigenen Gewissen verantwortlich – auch hinsichtlich seines Glaubens
Freimaurerei ein Religionsersatz?
Der Freimaurerei ist häufig vorgeworfen, sie sei eine Religion bzw. ein Religionsersatz. Sie hat niemals Religion sein wollen. Gegenteilige Darstellungen beruhen entweder auf Unkenntnis oder auf Feindseligkeit. Die Freimaurerei kann und will nichts anderes sein als ein unpolitischer und in keiner bestimmten Religion festgelegter Bruderbund.
Klar erkennbar gründet die Freimaurerei in der christlichen Weltanschauung des 18.Jh., dem Zeitalter der Aufklärung. Von dieser Quelle her hat sie die starke Betonung des Moralischen, der Tugend. Von dorther aber auch den Gottesbegriff. Der erste Satz der „Alten Pflichten“ sagt klipp und klar: „Der Maurer ist als Maurer verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen; und wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner noch ein bindungsloser Freigeist sein.“
Die Freimaurerei des 21. Jh. hat mit Religion nichts zu tun. Da sie jedoch aus christlichem Boden gewachsen ist, lassen sich Berührungspunkte im ethischen Bereich fast überall aufweisen. Es geht also nicht um das Thema, ob die Freimaurerei ein Religionsersatz ist, sondern eher, ob nicht die in der aufklärerischen Ethik verankerte Maurerei zu wenig Verständnis für das christliche Kirchentum aufbringt.
Die Kirchen und die Freimaurerei
Die Beziehung zwischen den christlichen Kirchen und der Freimaurerei ist – je nach Zeit und Konfession – extrem vielfältig. Im Ursprungsland der Freimaurerei, in England, ist diese Beziehung von Anbeginn gegeben gewesen. Die 1723 erschienenen „Alten Pflichten“ stammen aus der Hand des presbyterianischen Geistlichen James Anderson. Nicht wenige der deutschen Großmeister trugen den Talar eines evangelischen Geistlichen.
Der katholischen Kirche waren die Freimaurer von Anfang an suspekt. Papst Clemens XII. (1652-1740) erließ 1738 die erste antifreimaurerische Bulle, weitere Verdammungs-Urteile folgten in den nächsten 150 Jahren.
Seit einigen Jahren gibt es zwischen den Kirchen und der Freimaurerei offizielle Begegnungen. Dabei sind alte Verdächtigungen und Verständnisschwierigkeiten weit-gehend abgebaut und ein neues Verhältnis geschaffen worden.
Für die ev. Kirche wurde Anfang 1973 festgestellt: „In ihrem Gottesverständnis und in ihrem ethischen Wollen steht die Freimaurerei in keinem ausschließlichen Gegensatz zum Christentum“. Das Gerücht, dass ein Freimaurer nicht Christ bzw. ein Christ nicht Freimaurer sein könne, ist für die ev. Kirchen ein Verstoß gegen das 8. Gebot (Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten). Kirche und Freimaurerei können sich gegenseitig als Institution verstehen und anerkennen, die jede in ihrem Bereich den Menschen ermöglichen wollen, „besser zu werden“. Dabei gibt es seitens der Freimaurerei keine Ressentiments gegenüber den Kirchen. Denn eine eigene Glaubenslehre, in der ein Menschen- und Weltbild wurzeln kann, gibt es in der Freimaurerei nicht.
„Gott – Tugend – Unsterblichkeit“ Ethik ohne Dogma?
Gibt die Freimaurerei nicht eine bestimmte Zeitideologie, ein zeitgebundenes Menschen- und Lebensverständnis aus der Geschichte des christlichen Glaubens weiter?
Im Zeitalter der Aufklärung haben nicht nur englische Bürger und Geistliche das sogenannte „Gott-Tugend-Unsterblichkeits“-Paket als christliches Hauptgepäck mit sich herumgetragen. Man war der Meinung, dass Religion gut sei für die Tugend und dass die Befolgung von Tugendhaftigkeit zur Unsterblichkeit führt und diese unausweichlich von jedermann erlangt werden würde.
Lessings „Nathan der Weise“ zeigt in der Ringparabel diesen Glauben, der auch die Grenzen der eigenen Religion überschreiten will (denn Gott sei ja der Gott der Muslime und Juden genauso wie der Christen usw.) Und wer recht lebe, der stehe recht vor diesem Gott.
Dieses Ideal der Tugend ist zum geistlichen Grund für die Idee vom „behauenen Stein“ geworden, der in den geistigen Tempelbau des „allmächtigen Baumeisters aller Welten“ eingefügt wird.
Doch dieser „allmächtige Baumeister aller Welten“ ist für die Kirche nicht identisch mit dem dreieinigen Gott, mit dem Vater Jesu Christi, von dem die Bibel spricht. Er ist das „höchste Wesen“ der Aufklärung.
Wo außerdem die Bibel austauschbar wird mit dem Koran, den Veden und anderen heiligen Büchern, wird sie auch nicht mehr nach dem ihr gemäßen Verständnis gebraucht. Sie ist vom „Buch der Bücher“ zum „Buch unter Büchern“ geworden.
Selbstvervollkommnung im Kreis Gleichgesinnter wird vom christlichen Glauben her als unerfüllbarer Wusch, als unerreichbares Ziel angesehen – somit als hoffnungsloser Weg. Auch der Vollkommenste unter den Menschen ist ohne Erlösung durch Christus keinen Schritt näher zu Gott gekommen als alle seine anderen Menschenbrüder.
Ob es einen ethischen Bund ohne dogmatische Grundlage geben kann, ob also ein Menschen-Verständnis und Anweisungen für die Menschenverbesserung möglich sind, ohne eine zugrundeliegende Weltanschauung oder Lehre, bezweifeln manche streng gläubigen Christen.
Die kritische Frage: Kann ein Christ Freimaurer sein?
Die Antwort lautet klar – JA – ein Christ kann ein Freimaurer sein.
Die Freimaurerei hat kein dogmatisches Lehrgebäude und vermittelt keine Sakramente. Sie arbeitet auf einer ganz anderen Ebene als die Religion.
Der moderne Mensch hat oft ein gestörtes Verhältnis zu allem, was nicht rational und logisch erfassbar ist. Das Unbewusste, gewalt- und furchtsam unterdrückt, rächt sich durch Neurosen, die den Menschen versklaven und ihm seine Freiheit rauben.
Die Sprache des Unbewussten, des archetypischen Urgrundes und des höheren „Selbst“, ist nicht deutsch, englisch oder französisch, sondern die „Sprache des Symbols“. Hier kann eine völlig neue Dimension des Erkennens in demjenigen heranreifen, der diese Sprache wieder erlernt hat.
Die Freimaurerei ist keine Religion und der Freimaurer ist auch kein areligiöser Mensch.
Kann man aber dem Freimaurer daraus einen Vorwurf machen, dass er seine Religion lebt, ohne den anders-gläubigen Bruder zu hassen? Dass er einen Mitbruder gern hat, auch wenn dieser auf einem anderen Weg zum Glauben an seinen Gott gefunden hat?
Sind wir Menschen wirklich nicht in der Lage, dass wir unter dem herrlichen Symbol des „Allmächtigen Baumeisters aller Welten“ nicht auch den dreieinigen Schöpfer des Himmels und der Erde begreifen können?
Wenn der Maurer in die für ihn neue Welt der Symbolik eingedrungen ist, wird oft sein ursprüngliches, möglicherweise gestörtes Glaubensleben neu belebt und aktiviert. Sollte er es dann dem islamischen oder jüdischen Bruder verübeln, wenn es diesem genauso ergeht?
Die Freimaurerei zwingt niemanden. Der Maurer bleibt ein freier Mann, nur seinem eigenen Gewissen verantwortlich – auch hinsichtlich seines Glaubens –, aber „wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner noch ein irreligiöser Freigeist sein“.